Die Vergangenheitsbewältigung trägt in Würzburg derart anachronistische Züge, dass man zumindest in dem Punkt das Gefühl bekommt, die Berliner Republik sei an der Stadt spurlos vorbeigezogen. Kernstück des Würzburger Opfermythos ist die zentrale Gedenkveranstaltung für die Opfer der Bombardierung der Stadt durch die alliierten Luftstreitkräfte am 16. März 1945, die den Namen „Lichtergedenken“ trägt. Burschis, die andächtig ihre Mütze vom Kopf ziehen und schwarze Fahnen tragen, schweigen dort für 20 Minuten – so lange dauerte der alliierte Angriff – gerührt zum Glockengeläut, einträchtig neben Vertretern der katholischen Kirche und Ökobauern mit Teelichtern in der Hand. Da es in Würzburg niemanden gibt, der gegen das Trauerspiel Einspruch erhebt, entschied sich die AG No Tears For Krauts das Schweigen mit Flugblättern zu stören. Die Kritik kam erwartungsgemäß gut an. Unzählige Flugblätter wurden zerknüllt, zerrissen und verstimmt zurückgegeben. Der Dompfaffe („Das ist mein Platz! Habt ihr eine Genehmigung?“) drohte an, dass wir noch von ihm hören werden. Die Vertreter der NTFK waren übrigens nicht allein in Würzburg. Unterstützt wurden sie von amerikanischen Kampfjets.
[PDF] Ein Flugblatt der „Ag No Tears For Krauts“ gegen das Lichtergedenken.
Sehr geehrte Damen und Herren,
selbstverständlich sind auch Sie gute Würzburger. Darum haben Sie sich heute vor dem Dom eingefunden, um der Bombardierung Ihrer Stadt am 16. März 1945 zu gedenken. Das Wörtchen „erinnern“, das in mancher Ankündigung für die heutigen Gedenkveranstaltungen gebraucht wird, wäre an dieser Stelle das falsche Verb. In Würzburg muss niemand an die Bombennacht erinnert werden. Denn ohnehin entkommt keiner, der in diesem Kaff verbringt, Ihrem Opferkult. Auf Schritt und Tritt wird man auch jenseits des heutigen Tages vom Gedenken an die Bombardierung behelligt – egal ob im Fußballstadion, auf dem Hauptfriedhof, in der Kirche oder im Museum. Der 2011 neu eingerichtete Dokumentationsraum zur Bombardierung ist einer der wenigen Orte der Stadt, den man nach 20.00 Uhr noch besuchen kann, während sonst kein Laden mehr geöffnet hat. Das Gedenken ist hier gute Sitte und nichts bringt mehr Menschen auf die Straße, als das heutige Lichtergedenken – 15.000 waren es im vergangenen Jahr. Weiterlesen