Der große Hedonismus-Schwindel. Über die Rebellion der Angepassten.

Mittwoch, 31. August 2011, 19:00 Uhr
Radio Corax, Unterberg 11, Halle (Saale)

»Ich will Spaß, ich will Spaß«, sang der »Neue-Deutsche-Welle«-Star Markus Anfang der achtziger Jahre. Dreißig Jahre später ist diese Formel – »Ich will Spaß, ich will Spaß, ich geb’ Gas, ich geb’ Gas!« – erneut zur Parole einer Generation geworden. Der VW-Golf-Proll aus dem Saalekreis, die Friseur-Azubine aus Delitzsch, der Kulturarbeiter mit Antifa-Vergangenheit und die SozPäd-Studentin mit Eso-Fimmel: sie alle zieht es Wochen…ende für Wochenende zu den einschlägigen Clubs, Diskotheken und unangemeldeten Freiluftpartys, wo sie sich nicht mehr zu stumpfer Gitarrenmusik, sondern zu monotonem Elektrobeat bewegen. Der hippe Mittelstandsnachwuchs legt gegenüber dem Prekariat zwar ein großes Abgrenzungsbedürfnis an den Tag: Im Unterschied zu den Mandys, Kevins und Jacquelines, die bis zum großen Unglück von 2010 zur Loveparade fuhren, bevorzugen die Sandros und Janinas das »Fusion-Festival«, das »Nation of Gondwana« im märkischen Sand oder, für die ganz Hippen, die illegalen Zusammenkünfte an Seeufern und Waldlichtungen. Wenn sie eine Politvergangenheit haben, Soziologie oder Gender-Studies studieren, versuchen sie darüber hinaus, ihrem Wochenendspaß einen subversiven Gehalt überzuhelfen: Weil sie nicht mehr in Sackleinen und schwarzen Kapuzenpullovern herumlaufen, sprechen sie von Individualismus; weil sie sich gelegentlich mit Koks statt mit Korn betäuben, rhabarbern sie von Hedonismus. Spätestens wenn ihre illegalen Partys, wie jüngst in Leipzig und Halle, von der Polizei gesprengt werden und sie daraufhin mit konstruktiven Vorschlägen an die einschlägigen Stadtverwaltungen herantreten, wird jedoch deutlich, was bereits durch ihre musikalischen Vorlieben angedeutet wird: Von der Autotuning-Fraktion unterscheidet sie nichts außer ihrem Standesdünkel. Die Spontaneität, von der sie sprechen, ist geplant; die unkommerziellen Partys (bei denen, nebenbei, mehr Geld abfällt, als sie zugeben würden) sind die Testballons für den Einstieg ihrer Organisatoren ins professionelle Veranstaltungsmanagement; und ihr Hedonismus ist die Verlängerung des Leistungsprinzips in die Freizeit: Wer nicht lange genug durchhält, ist »out«. Wenn sie vor diesem Hintergrund, wie gerade in Halle und Leipzig, gegen die Prinzipientreue der einschlägigen Ordnungsämter protestieren, dann ist also nichts anderes zu erwarten als eine Rebellion der Angepassten.

Eine Veranstaltung der AG Antifa im Stura und der AG »No Tears for Krauts« Halle.