... vom Nazi-Opa?
In Deutschland mag man Juden – vor allem, wenn sie tot sind. Ganz in diesem Sinn gehen die Landsleute mit der gleichen Hingabe und Begeisterung, mit der sie die europäischen Juden einst verfolgt und ermordet haben, nun daran, deren Lebensgeschichten aufzuarbeiten, jüdische Relikte zu pflegen und sich jüdischen Kitsch in die Schrankwand zu stellen. Sobald die wenigen Nachkommen der Überlebenden ihr Schicksal allerdings in die eigene Hand nehmen, sprich: einen eigenen Staat gründen, in dem sie nicht mehr vom zweifelhaften Wohlwollen deutscher Gutmenschen abhängig sind, schlägt die Judenbegeisterung in Aggression um. Hier wird Anne Frank (weil tot) gegen die israelische Armee ins Spiel gebracht, weil sie dafür sorgen will, dass es nie wieder einen „Fall Anne Frank" gibt. Das offizielle Programm zum diesjährigen Gedenken an die Pogromnacht des Jahres 1938 vereint diese Begeisterung für tote Juden nahezu idealtypisch mit dem Angriff auf die Überlebenden und ihre Nachkommen: Zwischen der Ankündigung für einen „Rundgang zu jüdischem Leben" in Halle, der passenderweise am Jüdischen Friedhof beginnt, und einem Gedenktanz der Katholischen Akademie in der Moritzkirche wird ganz selbstverständlich auf eine Ausstellung im Stadtmuseum verwiesen, die bereits durch ihren Titel („Lange Schatten des 9. November?"), den Tag ihrer Eröffnung (den 70. Jahrestag der Reichspogromnacht) und die Fotografie, mit sie beworben wird, suggeriert, dass die Tradition des 9. November 1938 in der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern aufgegangen ist. Damit kommt die berühmte deutsche Vergangenheitsbewältigung zu sich selbst.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde im gesamten Deutschen Reich der Terror der Nationalsozialisten offenbar. Die Pogrome, bei denen hunderte Juden ums Leben kamen und mehr als die Hälfte aller Synagogen zerstört wurden, läuteten endgültig die systematische Verfolgung und Ermordung der Juden in Deutschland ein. 70 Jahre später, in einer Zeit also, in der die atomare Auslöschung Israels vom iranischen Präsidenten zur Staatsdoktrin erhoben wurde, in einer Zeit, in der laut einer Umfrage des Forsa-Institutes 23 Prozent der Deutschen latente bis starke antisemitische Einstellungen haben, entdecken nicht nur in Halle Professoren und andere, die im akademischen Betrieb ihr Unwesen treiben, ihr Herz für die „palästinensische Sache". Ihr Engagement gilt als schick, als redlich zumal, und wer etwas auf sich hält im deutschen Kulturestablishment, kritisiert, nicht ohne vorher mit großer Selbstverständlichkeit darauf hinzuweisen, im Prinzip nichts gegen Juden zu haben, Israel für seine „Apartheidspolitik". Zwar konnten bislang weder Maria Nühlen noch Jochen Ehmke, die Macher der Ausstellung „Lange Schatten des 9. November?" im hallischen Stadtmuseum, durch öffentliche Äußerungen dieser größer werdenden Gruppe zugeordnet werden. Ihre Ankündigung zur heute eröffnenden Ausstellung ist jedoch mehr als nur die Eintrittskarte in die „Hall of Shame" (Henryk M. Broder) der Antizionisten.
Denn wer behauptet, Israel erhebe „Anspruch auf Jerusalem als ungeteilte Hauptstadt des Landes", ganz so, als hätte die gegenwärtige Ministerpräsidentin Zipi Livni nicht schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Übergabe Ost-Jerusalems als Teil einer Verhandlungslösung von der gegenwärtigen Regierung akzeptiert werden würde, zeichnet genau das Bild, das linke und rechte Antisemiten immer wieder bemühen: nämlich Israel als böser Aggressor und die Palästinenser als arme Unterdrückte, die sich nur eines wünschten: „Frieden" und „Ost-Jerusalem als Hauptstadt" – ganz so, als ob die islamistische Terrorgang Hamas bei den letzten palästinensischen Wahlen nicht die absolute Mehrheit erreicht hätte und deren Charta nicht die restlose Beseitigung Israels von der Landkarte verlange. Ganz so, als hätten die Palästinenser in der Geschichte nicht schon mehrere Male das Angebot auf einen eigenen Staat mit dem Verweis auf den Besitz des „ganzen Landes" ausgeschlagen. Und ganz so, als würde nicht jeder Märtyrer, der sich in einem israelischem Café in die Luft sprengt, als palästinensischer Volksheld beerdigt und von einer Unmenge Menschen unter Gewehrsalven, dem Schwenken grüner Fahnen und dem Ausstoßen von Vernichtungsdrohungen gegenüber dem jüdischen Staat zu Grabe getragen. Wer diese Realitäten bewusst verleugnet, und wem am propagandistischen Effekt beim Verbreiten von Halbwahrheiten gelegen ist, der steht folgerichtig auch „sprachlos an den Mauern in Ost-Jerusalem", wie Nühlen und Ehmke in ihrer Ausstellungsankündigung versichern. Mauern und Zäune, die volksdeutsche Professoren zwar „sprachlos" machen, die aber in Israel dafür sorgen, dass seit deren Errichtung Selbstmordanschläge, die in den palästinensischen Gebieten von 73 Prozent der Bevölkerung („European Centre for Common Ground") für legitim erachtet werden, signifikant zurückgegangen sind. Nühlen und Ehmke basteln sich ihre Sicht der Dinge, wohl wissend, dass ihr Publikum von solchen in Deutschland gänzlich unbeliebten Wahrheiten genauso wenig wissen möchte, wie sie selbst.
Wer am 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht, eine Ausstellung mit dem Titel „Lange Schatten des 9. November?" eröffnet, deren Werbetext und die dazugehörige Abbildung auf nichts anderes schließen lassen, als dass die Palästinenser die neuen Juden seien und damit die Nazis von Gestern in den Israelis von Heute ihren modernen Ausdruck fänden; sprich: dass die Israelis aus dem Holocaust nichts gelernt hätten und nun mit dem Palästinensern genau das täten, was ihnen selbst einst angetan wurde, der kann damit kaum etwas anderes bezwecken, als die Taten des eigenen Nazi-Opas (für Feministen: der Nazi-Oma) zu relativieren. Ganz in diesem Sinn werden die entsprechenden Analogien nicht nur im Ankündigungstext Nühlens und Ehmkes suggeriert. Das Foto, mit dem für die Ausstellung geworben wurde – und mit dem über den Inhalt damit unfreiwillig bereits alles gesagt sein dürfte –, zeigt eine übermächtig erscheinende Mauer mit der Beschriftung „From Warsaw Ghetto to Abu-Dis-Ghetto". Wir wissen zwar, dass an der Hochschule Merseburg, an der Nühlen und Ehmke seit vielen Jahren tätig sind, keine Geschichte gelehrt wird, hoffen aber trotzdem darauf, dass sich in nächster Zeit einmal jemand erbarmen und den beiden Hobbyfotografen den Unterschied zwischen dem Warschauer Ghetto und der palästinensischen Stadt Abu-Dis erklären wird.
Nühlen und Ehmke werden, wie üblich in solchen doch recht pikanten Zusammenhängen, erklären, die Fotografien würden lediglich die Realität abbilden und hätten mit persönlichen Meinungen oder Ansichten dementsprechend nichts zu tun. Dem ist entgegenzuhalten, dass Nühlen und Ehmke nicht die Verfasstheit der palästinensischen Gesellschaft, in der es als ehrenwert gilt, als Suicide Bomber so viele jüdische Zivilisten wie nur möglich zu ermorden, kritisieren. Sie fragen sich nicht, weshalb selbst die als „gemäßigt" geltende Fatah mit den Al-Aksa-Brigaden eine eigene Terrorgruppe unterhält, und sie fragen auch nicht, warum nur eine monströse Mauer Menschen davon abhalten kann, andere zu töten. Auch wundern sie sich nicht, dass kaum einer der israelischen Freunde, die sie mit Sicherheit vorzuweisen haben, sie in den Gazastreifen begleiten möchte. Nein, stattdessen fabulieren sie lieber über „Schikanen an den unzähligen Checkpoints", „neue, israelische Reihenhaussiedlungen im Palästinensergebiet" und „schwerbewaffnete Doppelstreifen israelischer Soldaten".
In Deutschland kommt so etwas immer gut an, denn schließlich meinen 81 Prozent der Bundesbürger, Israel sei die „größte Bedrohung für den Weltfrieden". Es geht ihnen um nicht weniger, als eine Denunziation des Staates der Holocaustüberlebenden, das nach der Erfahrung des Zivilisationsbruchs der Shoa für viele Juden vor allem eines bot und noch heute bietet: Hoffnung auf ein Leben als Jude ohne Verfolgung und Ermordung. Die Lebensbedingungen der Palästinenser sind den Israelkritikern in Wahrheit ebenso egal wie der korrekte Grenzverlauf zwischen Papua-Neuguinea und den Fidschi-Inseln. Der Verweis auf das Leiden der Palästinenser dient lediglich als Alibi; die Israelkritiker sind, wie Broder einmal formuliert hat, vielmehr „dankbar für die Möglichkeit, [ihre] Ressentiments in einer politisch korrekten Form auszuleben".
ag „no tears for krauts" halle,
9. November 2008 |