Mitmachen wollen sie gern — Oder: Schluss mit den linken Nazimethoden!

In Halle war kürzlich zu sehen, wohin die szenetypische Mischung aus Straf- und Mitmachbedürfnis führt.
 

Es war und ist richtig, gegen die Totalitarismustheorie, die Links und Rechts, Kommunismus und Faschismus, gleichsetzt, anzugehen und auf den Unterschieden zu bestehen. Gerade die Linke machte und macht es einem jedoch nicht immer leicht, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart, weder im Großen noch im Kleinen. Aber der Reihe nach: Vor einigen Monaten gab eine junge Frau, die genug von den Dummheiten der hallischen Linken hatte, einem bundesweit aktiven AfD-Podcaster ein Interview. Über die genauen Hintergründe lässt sich nur spekulieren. Vielleicht wusste sie nicht, wer nach einigen ihrer kritischen Kommentare in den sozialen Netzwerken bei ihr anfragte, vielleicht wollte sie den Bekanntheitsgrad ihres eigenen Podcasts, der inzwischen wohl zum guten Ton gehört, erhöhen, vielleicht ging es ihr auch um einen Tabubruch.
Über so viel Dusseligkeit, Aufmerksamkeitsbedürfnis oder wahlweise kindlichem Trotz kann man lachen, man kann es auch kritisieren. Beides genügte der hallischen Antifa-Szene jedoch nicht. Obwohl die junge Frau während des Podcasts weder Naziideologie verbreitet noch argumentativ unter das (zugebenermaßen erschreckend niedrige) Stammtischgesprächsniveau des Offenen Antifa-Plenums, der soziokulturellen Zentren „Reilstraße 78“ oder „Galle“ gefallen ist, gilt sie seither als Nazi.
Das bietet Angehörigen der linken Szene wiederum die Möglichkeit, selbst naziähnliche Methoden anzuwenden. So zog vor einigen Tagen ein Mob von einem guten Dutzend Leuten zum Ende oder als Höhepunkt einer Geburtstagsfeier nachts zu der Kneipe, in der die Frau kellnert. Unter ihnen befanden sich mindestens einige, die sich regelmäßig beim Selbstverteidigungstraining gegen Angriffe von Neonazis präparieren. Nachdem der letzte Gast gegangen war, wurde die Frau bedroht, bespottet und beschimpft. Zugleich wurde gegen die Tür oder die Fenster getreten. Die Tür wurde mit antifaschistischen (und als Krönung: antisexistischen) Aufklebern zugeklebt, wohl um im Stil einer Streetgang das eigene Revier zu markieren. Darüber hinaus wurde ein großes Fenster der linksalternativen Kneipe mit dem großen Schriftzug „Nazikneipe!“ (mit drei Ausrufezeichen) beschmiert: Wer mit einem Halbnazi spricht, ist mindestens ein Vollnazi; wer diesen vermeintlichen Vollnazi bei sich arbeiten lässt, führt mindestens ein Naziunternehmen. Unter dem Vorwurf der Kontaktschuld, der kleinen Schwester der Sippenhaft, macht es die hallische Antifa-Szene offensichtlich nicht mehr. Die junge Frau schloss sich jedenfalls aus Angst in der Kneipe ein und verließ den Laden fluchtartig über den Nebenausgang. Wer schon einmal von einem Mob bedroht wurde oder gejagt wurde, weiß, welche Folgen das mitunter haben kann.
Dieser Vorfall zeigt nicht nur, was Angehörige der hallischen Antifa-Szene unter einer Feier und unter Spaß verstehen, nämlich andere fertigzumachen, Gewalt auszuüben und sich wechselseitig aufzustacheln. Er steht zugleich für den Verfall von Freundschaft, die nicht mehr an Nähe und Zuneigung gebunden ist, von denen oft auch dann noch etwas übrigbleibt, wenn die Freundschaft längst auseinandergegangen ist, sondern nur noch an Cliquenzugehörigkeit, mit der sie auf Gedeih und Verderb steht und fällt: Nicht wenige aus der Meute, die die Frau nun bedroht haben, gehörten vor gar nicht so langer Zeit noch zu ihrem engsten Freundeskreis.
Vor allem aber signalisiert der Fall, dass sich die linken Feierlichkeiten und Zusammenkünfte kaum von einem Dorfbesäufnis unterscheiden, wenn sich nämlich der letzte Rest vom Schützenfest, ohne dass es Ein- oder Widerspruch gibt, weil einfach alle mitmachen, zusammenrottet, um sich an einer einzelnen Frau, die zudem ganz offensichtlich Angst hat, abzuarbeiten.
Der zentrale Unterschied dürfte lediglich darin bestehen, dass der Antifa-Mob sein Vorgehen politisiert und sich vormacht, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen: Die absurde Markierung der jungen Frau als „Nazi“ und des linksalternativen Ladens als „Nazikneipe!!!“ bot die Möglichkeit, den immer wieder selbst für sich in Anspruch genommenen Antisexismus endlich einmal einen guten Onkel sein zu lassen, die eigenen unterdrückten Triebe auszuleben und mit bestem antifaschistischen Gewissen einer Frau aufzulauern, sie zu bedrohen und fertigzumachen.
Der Vorfall dürfte nicht zuletzt im Kontext einiger der gegenwärtigen Entwicklungen der linken Szene Halles zu verstehen sein. Sein Hintergrund ist der Trend, jede auch nur geringfügige Abweichung von den Umgangsformen und Imperativen der Szene zu sanktionieren und selbst Kränkungen in privaten Beziehungen nicht nur öffentlich auszuwerten, sondern auch noch vors Szenegericht zu bringen. Das trägt zum einen dazu bei, dass das eigene Straf- und Verfolgungsbedürfnis, vor dem unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaum jemand gefeit ist, nicht unterdrückt, sondern bereitwillig ausgelebt wird: Die Hemmungen fallen. Zum anderen sinkt die Bereitschaft auszuscheren; der Drang mitzumachen wird größer, weil niemand negativ auffallen oder der nächste sein will, der ein Hausverbot oder einen Besuch auf seiner Arbeitsstelle bekommen will. Trug die Autobiografie Leo Löwenthals den Titel „Mitmachen wollte ich nie“, müsste das eigene Vorgehen trotz der vermeintlich nonkonformen bunten Haare oder des Irokesenhaarschnitts „Mitmachen wollen wir gern!“ heißen. Die Solidarität, auf die sie so stolz sind, dass sie sie sich sogar als Slogan tätowieren lassen, gilt nicht den Einzelnen, sondern der eigenen Clique, der Bande oder dem Kollektiv.
Wir gehen selbstverständlich nicht so weit, zu fordern, die Beteiligten dieser antifaschistischen Version eines Dorfmobs bei ihrer Arbeit, in ihren Uni-Seminaren oder bei Mutti und Vati als das anzuschwärzen, was sie sind: als Angehörige einer durch und durch widerwärtigen Meute. Dieser Form der öffentlichen Anprangerung stehen wir oft selbst bei tatsächlichen Nazis skeptisch gegenüber. Wir nehmen uns aber die Frage heraus, was mit einer Szene nicht stimmt, die dieses Ausmaß an Gruppendynamik, Verblödung und dem Ausfall von Reflexion hervorbringt, und fordern das, was schon in der Überschrift steht: Schluss mit den linken Nazimethoden!
 

AG No Tears for Krauts
04/2023