Aufstand der Angepassten

Es gibt tausend gute Gründe, gegen die Kürzungspläne der Landesregierung an den Universitäten zu protestieren. Das Dumme ist, dass Euch, den demonstrierenden Studenten kein einziger davon einfällt. Im Gegenteil: Ohne es zu merken, beschleunigt Ihr durch Euren Protest, Eure Parolen, Forderungen und Wünsche die Austreibung des Denkens aus den Hochschulen. Ein offener Brief der AG »No Tears for Krauts« an die Proteststudenten.

Werte Studentinnen und Studenten,

Ihr alle wisst es: Universitäten dienen seit jeher der Konditionierung für Staat und Arbeitsmarkt. Die juristischen Fakultäten liefern treue Staatsdiener, die auch als Rechtsanwälte noch im Sinn des staatlichen Interesses auftreten. In den wirtschaftswissenschaftlichen Klitschen denken Kopflanger über die Effektivierung der Produktion, sprich: die bessere Ausbeutung der Arbeitskraft nach. Und die geisteswissenschaftlichen Fakultäten haben den Job übernommen, den früher die Theologie hatte: Sie stellen das ideologische Rüstzeug der ganzen Veranstaltung und begründen, warum es richtig und wichtig sei, alle vier Jahre sein Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen, sich ehrenamtlich zu engagieren, bis zum 67. Lebensjahr zu schuften und sich jeden Morgen für den Gang in die Werbeagentur oder den Taxistand – die zentralen prospektiven Tätigkeitsfelder der Geisteswissenschaftler unter Euch – zu disziplinieren. Es ist insofern kein Zufall, dass Eure Vorgänger, die Studenten vergangener Tage, stets als erstes bereitstanden, wenn es darum ging, neue Schweinereien auszubrüten: von den Burschenschaften des frühen 19. Jahrhunderts, die gegen den Vormarsch Napoleons und damit zugleich die Einführung bürgerlicher Verhältnisse, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung von Juden usw. eintraten, bis zu den Nazistudenten, die an den Universitäten schon zu einem Zeitpunkt in der Mehrheit waren, als die NSDAP auf Reichsebene noch eine unbedeutende Splitterpartei war.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Denn ebenso wie die Aufklärung stets die Möglichkeit in sich barg, den Schrecken, der tragischerweise mit ihr verbunden ist, abzuschaffen, trugen Zurichtungsanstalten wie Universitäten stets auch den Keim für etwas Besseres in sich: die Möglichkeit zur Aufhebung von Schrecken und Konditionierung. Zweifellos ist das bürgerliche Bildungsideal ideologisch, weil es die materiellen Voraussetzungen, die zur Erfüllung dieses Ideals nötig sind, wie auch seinen gesellschaftlichen Ursprung verleugnet. Aber indem Bildung darin zumindest noch als Selbstzweck erscheint, die jeder erwerben sollte, damit er nicht als hirnverbrannter Idiot aus der Welt scheidet, kann sie die Menschen im besten Fall davor bewahren, sich als bloßes Werkzeug zu begreifen. Auch wenn es ein Glücksfall war, dass Staats- und Gesellschaftskritiker wie Adorno, Horkheimer, Agnoli et al. ausgerechnet in einer Universität Unterschlupf fanden, war es doch mehr als ein Zufall: So unterscheiden sich Universitäten im besten Fall von Berufsschulen, weil sie zumindest Nischen für Eigenbrötler liefern, die nicht so stromlinienförmig wie die schmierigen Infotainmentprofessoren sind, die Ihr so mögt, weil sie Euch an Eure heimlichen Idole Markus Lanz und Kai Pflaume erinnern.

Die Austreibung des Denkens

Es gibt also gute Gründe dafür, gegen die geplanten Kürzungen zu protestieren, die nicht nur die medizinische Fakultät bzw. die Universitätsklinik, sondern auch die Geisteswissenschaften betreffen. So ordnen sich die gegenwärtigen Kürzungspläne in den großen Prozess der Umgestaltung der Universitäten ein, der spätestens mit der Bologna-Erklärung begonnen hat. Der Bologna-Prozess und die zahlreichen Kürzungen haben dazu beigetragen, dass der Doppelcharakter der Universitäten – Zurichtungsanstalt und Residuum der Freiheit – zunehmend in Richtung Zurichtungsanstalt aufgelöst wird. Ihre noch stärkere Ausrichtung auf den Markt hat dazu beigetragen, dass die wenigen Nischen für Nonkonformisten und eine Forschung, die sich der unmittelbaren Nutzanwendung entzieht, noch enger geworden sind. Mit Blick auf Euch, die Studenten, hat die flächendeckende Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen wiederum dafür gesorgt, dass die vergnügliche freie Zeit, die einmal den Blick über den Tellerrand, ansprechende Lektüre und Reflexion ermöglichte, auf ein Minimum beschränkt ist. Und die Einführung von Modulen hat dazu beigetragen, dass in Euren Seminaren, ähnlich wie in Eurer früheren Kindergartengruppe, fast alle Insassen einer Altersstufe angehören. Der Austausch zwischen Studenten aus verschiedenen Jahrgängen, Wissens- und Erfahrungsstufen, der Seminare einmal spannend machen konnte, findet kaum noch statt. Die Schule hat die Hochschulen eingeholt. Ihr sammelt dementsprechend keine bleibenden Erfahrungen mehr, sondern Punkte. Diese Erfahrungslosigkeit spiegelt sich nicht zuletzt in Eurem Lernstil wider. Ohne dass Euch angesichts dieser Zumutung schlecht wird, erklärt Ihr augenzwinkernd, dass Ihr »Bulimie-Lernen« betreibt: Ihr fresst den Stoff in Euch hinein, um ihn während der Klausur wieder auszukotzen und für immer im Klo verschwinden zu lassen.

Studentische Steuerzahlermentalität

Das Dumme ist: Von all diesen Dingen, die unisono im Zusammenhang mit der Veränderung der Universitäten in marktförmige Unternehmen, dem Stichwort der Rentabilität und der Schaffung von Mehrwert stehen, wissen zwar einige Eurer Professoren noch etwas: In den Ansprachen Eures Rektors, von dem Ihr Euch, obrigkeitshörig wie Ihr seid, in der Regel noch das Protestieren genehmigen lasst, klingt noch die Ahnung mit, was eine Universität aller Ideologieproduktion zum Trotz einmal war. Ihr selbst wollt von all dem allerdings nichts mehr wissen. Im Gegenteil: Euch fällt für den Erhalt insbesondere der Universitätsklinik kein anderes Argument ein als der Landesregierung für ihre Schließung. Während Ministerpräsident Haseloff und Co. lange Zeit erklärten, dass die medizinische Fakultät ineffizient arbeite und es im übergeordneten wirtschaftlichen Interesse Sachsen-Anhalts liege, wenn es im Land nur ein Universitätsklinikum – in Magdeburg nämlich – gebe, argumentiert Ihr in der gleichen Logik, nur entgegengesetzt: Ähnlich wie ein Traktorfahrer aus der Altmark, der gegen alles poltert, was sich nicht als erweiterte Pflughilfe eignet und durch Steuergelder finanziert wird, beharrt Ihr trotzig darauf, dass auch die medizinische Fakultät effizient und produktiv sei: »Die Universitätsmedizin schafft Mehrwert«, so lasst Ihr Eure Vertreter dementsprechend verkünden. Auch die Behauptung Eures Protestbündnisses, dass eine Schließung der Klinik für einen Kaufkraftrückgang in der Region sorgen würde und die Landesregierung – warum auch immer – »leichtfertig die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel« setze, zeigt: In den Medizinern unter Euch tickt es nicht nur wie in einem kleinen Verwaltungsbeamten oder dem Nachwuchspreisträger des Bundes der Steuerzahler.[1] Sondern Euch fällt für den Erhalt der Fakultät tatsächlich kein anderer Grund ein als der volkswirtschaftliche Schaden, der bei einer möglichen Abwicklung entstehen könnte. Noch denjenigen von Euch, die die Parole »Bildung ist keine Ware« skandieren, geht es lediglich darum, dass die Ausbildung nichts kosten soll, damit alle die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit zugleich: bei der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft haben.

Was niemandem von Euch auffallen will: Sowohl durch Eure Begründungen für den Erhalt der medizinischen Fakultät als auch durch Euer tägliches Gebaren an der Universität tragt Ihr dazu bei, dass der Prozess der Austreibung des Denkens aus den Hochschulen und der noch stärkeren Anpassung an Kategorien wie Effizienz, Produktivität und Verwertbarkeit noch beschleunigt wird. So ist der Besuch einer Hochschule für die Mehrheit von Euch doch nur noch der Weg zum Passierschein, der Euch in Form Eurer Bachelorurkunde ausgehändigt wird. Verlangen Eure Professoren einmal eine umfangreichere Lektüre als sie für das Bestehen der Abschlussklausur nötig ist, weil sie Euch dabei helfen wollen, nicht nur gute Rädchen im Getriebe, sondern mündige Menschen zu werden, gebt Ihr ihnen bei der nächsten Evaluation die Quittung: Diese Bewertungen, die ausgerechnet auf Betreiben Eurer Vorgänger, der Proteststudenten der vergangenen Jahre, eingeführt wurden, erhöhen den Druck auf die wenigen Professoren, die auch weiterhin »unmodische« Themen bearbeiten wollen oder dem alten Bildungs- und Universitätsideal anhängen, weiter. Zudem sind die wirtschaftlichen Argumente, die gerade die Medizinstudenten unter Euch für den Erhalt der medizinischen Fakultät ins Spiel bringen, zugleich Angriffe auf die Geisteswissenschaften. Denn während aus der Sicht des ideellen Gesamtsteuerzahlers, an den Ihr appelliert, mit Blick auf die Universitätskliniken tatsächlich mit einem gewissen Mehrwert argumentiert werden kann, ist das bei Philologen, Philosophen usw. kaum möglich: Bei einer Arbeit über »Platons Ideenlehre und Hegels Phänomenologie« handelt es sich, wird der gesellschaftliche Mehrwert in Betracht gezogen, der von ihr zu erwarten ist, schlichtweg um Subventionsforschung. Der zuständige Beamte im Bildungsministerium muss es als Erfolg ansehen, wenn die zugehörige Forschungspublikation zumindest einen Teil ihre Druckkosten wieder einspielt. Eure Wirtschaftlichkeitsargumentation trägt damit dazu bei, dass Effizienz und Rentabilität zu noch stärker akzeptierten Größen bei der Bewertung der Hochschulen werden. Zugleich zeigt sie, dass sich unter dem Schirm des gemeinsamen Protestes bereits das große Hauen und Stechen untereinander, der Verteilungskampf zwischen den einzelnen Fakultäten, Fachrichtungen usw. vorbereitet.

Alle für Halle?

Die Klügeren unter Euch scheinen zumindest zu ahnen, dass diese Rentabilitätsdiskussion die Aufkündigung der Einheit des Protestes ist. Da Euch aufgrund Eurer Verinnerlichung des Leistungs- und Rentabilitätsprinzips jedoch partout kein Grund gegen die Mittelkürzungen im geisteswissenschaftlichen Bereich einfallen will, greift Ihr auf das zurück, was immer herhalten muss, wenn Vernunft und Logik versagen: Heimat und Tradition. So erklärt Ihr in letzter Konsequenz nur, dass die örtliche Hochschule eine Volluniversität bleiben soll, weil es vor Ort schon immer eine Volluniversität gab, eine starke Verbindung zwischen der Stadt und der Hochschule bestehe und die Existenz einer Universität vor allem gut für die Region sei. Der zentrale Ausdruck dieser Kombination aus lokalpatriotischer Heimattümelei und der Unfähigkeit, Eure Gegnerschaft zu den Kürzungsplänen vernünftig zu begründen, ist Eure Parole »Halle bleibt!«. (So soll nicht die Uni »bleiben«, sondern »Halle«.) Aufgrund Eures Schollendenkens dürften auch die meisten von Euch bereitwillig mit angepackt haben, als es darum ging, Eure Stadt vor der Flut zu schützen. Auf dem ausgelassenen Volksfest der Flutbekämpfung habt ihr Euren Mann bzw. Frau gestanden, habt das Katastrophenkribbeln und die Gemeinschaft genossen und Euch als wahrhafte »Saalefront« für Halle nützlich gemacht.

Wo man sich nicht um Logik, Konsistenz und Widersprüche schert, hat es letztlich auch der Irrsinn leicht. Das konnte zumindest erkennen, wer dem Empfang beiwohnen durfte, den Ihr und knapp 4.000 Eurer Kumpane Eurem Landeshäuptling Haseloff vor einigen Wochen auf dem Universitätsplatz bereitet habt: Oder wollt Ihr bestreiten, dass es irre wirkt, wenn sich Erwachsene Hasenohren anstecken, mit Mohrrüben wedeln und eine einzelne Person mit einer Vehemenz und Lautstärke niederbrüllen, als wären sie auf dem Reichsparteitag? Nebenbei gebührt Euch auch noch das Verdienst, einen Kotzbrocken wie Rainer Haseloff als beinahe sympathisch und vernünftig erscheinen zu lassen: Der nämlich machte zu Eurem Treiben gute Miene und bestand auf Vermittlung und Gespräch.

Geh doch zu Hause …

In dieser merkwürdigen Mischung aus Irrsinn, Nützlichkeitsdenken und Lokalpatriotismus dürfte schließlich auch der zentrale Grund für die breite Unterstützung zu suchen sein, auf die Euer Protest im Unterschied zu den studentischen Aufwallungen der letzten Jahre stößt. Selbst die offiziellen Lizenzinhaber des Begriffs »Saalefront«, die Hooligans des Hallischen Fußballclubs, die bis dahin wahrscheinlich weder wussten, dass es in Halle eine Universität gibt, noch jemals ein gutes Haar an den »faulen Studenten« gelassen haben dürften, solidarisieren sich mit Euch: so, als würdet Ihr die Abschaffung des Paragraphen 223 StGB (Körperverletzung) für Straftaten in Stadionnähe fordern. Für diese Zustimmung dürfte zum einen die Tatsache verantwortlich sein, dass es zunächst vor allem die medizinische Fakultät und die Universitätsklinik waren, die im Fokus der Aufmerksamkeit standen: Deren Angehörige ziehen das weit verbreitete Ressentiment gegen »Unproduktive«, »Steuergeldfresser« und »Taugenichtse« aufgrund ihrer Bedeutung für die Volksgesundheit weit weniger auf sich als Kunsthistoriker oder Literaturwissenschaftler. Zum anderen habt Ihr mit Eurem Lokalpatriotismus offene Türen bei den Hallensern eingerannt: Da sie aus gutem Grund nicht wissen, was sie an ihrer Stadt mögen sollen, sind sie jedem dankbar, der ihnen einen Grund für ihre Affenliebe zeigt – und sei es auch nur eine unbedeutende Universität, die außerhalb eines Umkreises von 50 Kilometern kein Schwein kennt. Zugleich sind sie bereit, diese neue Entdeckung und das bisschen Lokalkolorit, auf das Halle verweisen kann, sofort mit Leib, Seele und abgebrochenen Flaschenhälsen zu verteidigen.

Anstatt hier dumm herumzustehen und durch Eure Forderungen alles nur noch schlimmer zu machen, solltet Ihr also lieber nachhause, in die Bibliothek oder ein Bier trinken gehen. Vielleicht fallen Euch ja danach ein paar gute Gründe gegen die aktuellen Kürzungspläne ein.

Sagt Eure
AG »No Tears for Krauts«
Juni 2013


[1]     Etwas geschickter als Ihr, stellen sich die bereits erwachsenen Mediziner an. Mit der breit angelegten Imagekampagne der deutschen Kassenärzte wird unter dem Motto »Wir arbeiten für Ihr Leben gern« so getan, als gehe es den niedergelassenen Ärzte nicht um ihr Gehalt, sondern um die Menschen. Stellvertretend für alle Niedergelassenen wird im »Deutschen Ärzteblatt« eine Gynäkologin zitiert, um zu zeigen, dass die Halbgötter in Weiß nur auf die Erde gesandt wurden, um Gutes zu tun: »Viele Menschen vergessen, dass wir diesen Beruf ergriffen haben, um anderen zu helfen, und nicht, um viel Geld zu verdienen.« Dass der Beruf nicht einfach Beruf sein darf, sondern Berufung sein muss, ist zwar ebenfalls pure Ideologie; wenigstens faselt die Kassenärztliche Bundesvereinigung aber nicht von »Wirtschaftsstandorten« und »Steuerverschwendung«, wie Ihr das ja so gerne tut. Diesen Standesdünkel der Mediziner werdet Ihr aber sicherlich auch noch lernen.