Words don’t come easy

Dieses Flugblatt wurde am 22. Februar bei einer „Phase‑2“-Veranstaltung in Berlin verteilt. Die „Phase‑2“-Veranstaltung war dem Schwerpunkt des aktuellen Heftes, der Psychoanalyse, gewidmet.

Abschließendes zur Faselei der „Phase 2“.

„Man darf nicht nur keinen Gedanken haben, man muss auch unfähig sein, ihn zu formulieren – das ist das Motto der ‚Phase 2’.“ Alf, Gesellschaftskritiker und Vordenker der Genderbewegung, Staffel 3, Folge 2 (oder so)

Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Phase 2“ ist ein Artikel erschienen, dessen Autoren sich einen Scherz mit der Redaktion erlaubt haben. Dieser Scherz ist allerdings weit mehr als eine der traditionellen Spaßguerillaaktionen, mit denen junggebliebene Altautonome so gern aufwarten: Die Autoren dichteten der Präpubertierendenserie ALF unter Berufung auf Studien, Aufsätze und Interviews, die nie erschienen sind, ein emanzipatorisches Potential an. Darüber hinaus stellten sie ausgerechnet den behaarten Außerirdischen mit der tiefen Stimme und dem groben Humor als Vorkämpfer der Gender-Bewegung dar. Dümmer geht nimmer.
Das ist jedoch nur der halbe Skandal: Denn auch wenn die Fußnoten des ALF-Textes erstunken und erlogen sind, folgt der Artikel doch einem Muster, das zuvor schon hundertmal in der „Phase 2“ erprobt wurde: Die Argumentation ist hanebüchen. Private Vorlieben – für Comics, Fernsehserien, Regisseure, Nazijagden oder Geländespiele mit der Polizei – werden weltanschaulich aufgepeppt. Statt auf Logik und Vernunft wird auf Angebersprache, die Autorität von Fußnoten, name dropping und den zukünftigen Doktortitel der Autorin gesetzt. Obendrauf kommt schließlich eine Portion Pseudokritik, die Differenzierungsvermögen signalisieren soll, aber letztlich nur den Wunsch verrät, es allen recht zu machen: sowohl der Gender-Beauftragten als auch dem Traditionsantifa, dem PoMo-Aktivisten und dem akademischen Adorniten innerhalb der Leserschaft.

Ein Beispiel von vielen
Bereits das Vokabular des idealtypischen „Phase‑2“-Textes („Einschreiben“, „Strukturmechanismen“, „Matrix“, „Topoi“, „Engführung“ usw.) und seine Satzkonstruktionen verraten alles. So erklärt – ein Beispiel von vielen – die „Phase‑2“-Redaktion in der Einleitung zum Schwerpunkt des aktuellen Heftes: „Auch wenn die Psychoanalyse vielen als taugliches Analyseinstrument des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft dient, so bietet sie zugleich einigen Übereifrigen die Möglichkeit, mittels psychoanalytischer Begrifflichkeiten, den/die politische(n) Gegner/Gegnerin in unzulässiger Weise zu denunzieren oder pathologisieren. Es ist sicher nicht zuletzt diese Verwendung der Psychoanalyse als rhetorische Waffe, die die Antipathien ihr gegenüber stetig schürt.“ Die Redakteure wollen wohl sagen: „Es gibt seriöse und unseriöse Rückgriffe auf die Freudsche Lehre. Weil die Psychoanalyse missbraucht werden kann, ist sie so unbeliebt.“ Stattdessen schreiben sie, wenn man ihr „Phase‑2“-Deutsch in richtiges Deutsch übersetzt – wenn man also das tut, was sie wollen und sie ernst, das heißt: beim Wort nimmt, folgendes:
1. „Dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft gehört ein taugliches Analyseinstrument.“ Das hat zwar keinen Sinn, passiert aber, wenn man z.B. den Akkusativ („Instrument für die Analyse des Verhältnisses“) mit dem Genitiv („Analyseinstrument des Verhältnisses“) verwechselt.
2. „Das Analyseinstrument, das dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft gehört, dient vielen als“ – was auch immer. Hier fehlt ein Teil des Prädikats. So etwas passiert, wenn man nicht nur die Fälle miteinander verwechselt, sondern auch noch die falschen Worte an den richtigen Stellen verwendet, wenn man also „Analyseinstrument des Verhältnisses“ statt „Instrument für die Analyse des Verhältnisses“ schreibt.
3. „Trotzdem bietet die Psychoanalyse einigen Übereifrigen die Möglichkeit, den politischen Gegner mittels psychoanalytischer Begrifflichkeiten in unzulässiger Weise zu denunzieren oder zu pathologisieren.“ Das „Trotzdem“ ergibt zwar ebenfalls keinen Sinn. Aus diesem Grund hat die „Phase‑2“-Redaktion vermutlich darauf verzichtet. Wenn man in der vierten Klasse aufgepasst hat, weiß man allerdings, dass ein „trotzdem“, ein „jedoch“ oder ganz allgemein eine Wendung folgen muss, mit der ein Widerspruch kenntlich gemacht wird, wenn ein Satz mit „auch wenn“ begonnen wird. Ein solcher Widerspruch existiert in diesem Satz jedoch nicht. Das „auch wenn“, mit dem der erste Satz beginnt, muss also verschwinden. (Die Frage, was eine zulässige Denunziation und Pathologisierung politischer Gegner ist, entscheidet darüber hinaus die „Phase‑2“-Redaktion bei ihrem nächsten Selbstfindungstreffen.)
4. „Die Psychoanalyse wird als rhetorische Waffe verwendet.“ Auch das ist selbstverständlich großer Quatsch. So kann eine Theorie zwar als Waffe dienen; als rhetorische Waffe können hingegen nur Argumentationsstrategien, Stilmittel usw. verwendet werden. Allenfalls wenn Worte, wie es bei der „Phase‑2“-Redaktion der Fall zu sein scheint, bereits als Theorie gelten, wird die Aussage richtig.
5. „Die Antipathien gegenüber der Psychoanalyse werden durch die falsche Verwendung der Freudschen Lehre geschürt.“ Das ist zwar ebenfalls purer Unsinn – das Ressentiment gegen die Psychoanalyse basiert nicht auf einem möglicherweise falschen Hantieren mit psychoanalytischen Begriffen, sondern auf dem Hass auf die kritische Selbstbesinnung, für die Freuds Theorie steht. Aber es ist zumindest halbwegs richtig formuliert.

Sprachliche Tarnmanöver
Der Kritischen Theorie diente der sperrige Duktus als Waffe gegen die Phrase, das Banale und den Terror der Kommunikation. Inzwischen wird mit der Kombination aus Angebervokabular, Fremdworten und irrwitzigen Nebensatzkonstruktionen allenfalls verdeckt, dass man nichts zu sagen hat. Mehr noch: Die Schaumschlägersprache, mit der die „Phase 2“ aufwartet, verhindert jede kritische Idee; sie lässt die Arbeit am Gedanken, für die das Formulieren und das Niederschreiben einmal standen, gar nicht erst zu. Die Gesamtausrichtung der „Phase 2“ entwertet die wenigen guten Texte, die dort erschienen sind. Denn wie kann z.B. ein Interview mit Christoph Türcke, das in der aktuellen Ausgabe erschienen ist, ein kritischer Text von Udo Wolter oder ein Interview mit Jan Tomasz Gross noch ernst genommen werden, wenn sie gemeinsam mit Rechenschaftsberichten des „Ums-Ganze“-Bündnisses oder einer „Pink-Rabbit“-Kampagne, den Wichtigtuereien eines Floris Biskamp („promoviert in Gießen zu [sic!] Kritischer Theorie und postkolonialer Dekonstruktion“) oder Artikeln über den „emanzipatorischen Gehalt“ von „South Park“ oder ALF erscheinen, die die Redaktion ebenfalls für veröffentlichungswürdig hält?
Dennoch ist die Kombination aus Wissenschaftsjargon, Dummsprech, Gespreiztheit und Nullsätzen keine Spezialität der „Phase 2“. (Will heißen: Nicht einmal in dieser Sache ist das Blatt besonders originell.) Auch in den diversen zivilgesellschaftlichen Initiativen, akademischen Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs, aus denen die „Phase 2“ nicht umsonst ihre Autoren und Redakteure rekrutiert, im Feuilleton, in den Nachrichtensendungen und Talkshows ist zu beobachten, was von konservativer Seite gern als Sprachverfall beklagt wird. Kurz: In der Faselei der „Phase 2“ spiegelt sich eine objektive gesellschaftliche Entwicklung.

Am Anfang war das Wort
Rede und Handlung waren einmal miteinander verschwistert. Das Wort drängte zur Tat. Ob die Flugschriften der Reformationszeit, die Pamphlete der Frühaufklärer oder die revolutionären Schriften des 19. Jahrhunderts: Sie ergriffen unmittelbar die Massen und wurden wirkungsmächtig. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfasst, konnten Worte eine Revolution auslösen. Die Herrschenden, die es in der Zeit des Feudalismus und in der Übergangszeit zur bürgerlichen Gesellschaft tatsächlich noch gab, hatten darum oft mehr Angst vor den ramponierten Gestalten, die in ihren Kammern aufrührerische Flugblätter schrieben, als vor den Verschwörergruppen, die in alten Kellern Bomben zusammenbastelten. Die Attentate der Anarchisten konnten ein paar unbeliebte Angehörige der königlichen Familie ins Jenseits befördern. Durch die aufrührerischen Schriften konnte hingegen die Macht selbst infrage gestellt werden. Der Text der Marseilleise, das „Manifest der kommunistischen Partei“ oder Blanquis „Instruktionen für den Aufstand“ hatten ein größeres Echo als etwa die Ermordung der Operettenkaiserin Sissi durch den Anarchisten Luigi Lucheni 1898 in Genf. Den Königen, Fürsten und Kaisern war die Gefahr, die von den Flugblättern, Zeitschriften, Liedern und Artikeln ausging, durchaus bewusst. So war die Geheimpolizei zwar weder im zaristischen Russland und in Preußen noch in Frankreich oder im Habsburger-Reich der Metternich-Ära unterbesetzt. Weit mehr Geld als für Spitzel, Agenten, Horch & Guck wurde allerdings für die gigantischen Zensurbehörden ausgegeben. Deren Mitarbeiter hatten nichts anderes zu tun, als jedes einzelne für die Veröffentlichung bestimmte Wort auf seine Fähigkeit hin zu überprüfen, die Herrschaft in Gefahr zu bringen.
Diese Zeit ist lange vorbei. Bereits die Zensur in den Staaten des Ostblocks war ein Anachronismus. Die einzigen, die Figuren wie Wolf Biermann, Stephan Krawczyk et al. ernst nahmen, waren die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Nach ihrer Ausreise in den Westen mussten die Dichter feststellen, dass sie mit der Stasi auch ihr Publikum verloren hatten. Krawczyk und Co. hatten aus dem Grad der Repression irrtümlich auf ihr politisches und – oft noch schlimmer – künstlerisches Gewicht geschlossen. Ihren Platten, Reimen und Kalendersprüchen erging es ähnlich wie den Schriften von Marx, Engels, Lenin, Blanqui, Durruti oder Mühsam: Zwar hatte niemand etwas gegen ihre Veröffentlichung einzuwenden. Aber entweder wollte sie niemand kaufen, oder ihre Botschaften blieben wirkungslos. Im Unterschied zur ausgehenden Feudalzeit kann inzwischen, zumindest im Westen, alles gesagt und gedruckt werden, ohne dass sich auch nur das Geringste ändert. Selbst die wenigen Texte, die doch der Zensur anheim fallen, landen weniger aufgrund der Angst auf dem Index, dass sie die Menschen ergreifen. (Abgesehen davon spricht es in einigen Fällen fast für die berühmten Massen, wenn sie sich von bestimmten Schriften nicht mitreißen lassen.) Sondern sie werden vor allem um des Schikanierens willen verboten. Die Sprache hat ihren eingreifenden Charakter verloren. Diese Entwicklung hat einen Grund, dem weder bessere Lehrpläne noch ein Lektoratswechsel bei der „Phase 2“, so sehr er auch zu begrüßen wäre, etwas anhaben können: „Allzuleicht vergessen wir,“ so schrieb ein kluger Mann schon in den fünfziger Jahren, „dass die Sprache deshalb tot ist, weil der Einzelne, der zum anderen spricht, als Einzelner, sagen wir als denkendes Subjekt, nichts mehr zu sagen hat – in dem Sinn, wie es heißt: ‚Der hat nichts zu sagen’, das heißt, der ist ohnmächtig, er kann nichts vollbringen, auf sein Wort hin geschieht nichts. Er hat nichts zu sagen, heißt, es hat keine Konsequenzen, es bedeutet nichts, es tut nichts, es macht nichts. Wenn heute zwei miteinander reden, so mag ihre Rede ein Vermittlungsglied in einer vorherbestimmten, festen Kette von Machtauswirkungen sein, wie etwa die Rede der Marionetten aus dem Osten in den Versammlungen der Vereinten Nationen, aber das Gespräch zwischen zwei Bürgern erzeugt keine Kette von Ursachen und Wirkungen in der Welt.“ Soll heißen: Die Rückbildung der Artikulationsfähigkeit, die Katastrophen, die der Pisa-Test immer wieder zutage fördert, und die Zumutungen, die regelmäßig in der „Phase 2“ zu lesen sind, haben ihre Ursache in der realen politischen Ohnmacht der Einzelnen. Selbst die Damen und Herren auf den roten Teppichen sind allenfalls Verwaltungsbeamte der großen „Staat, Kapital und Co. KG“.

Ey, Alter!
Diese Ohnmacht wirkt auf die Sprache zurück. Wenn sich die Konsequenzen, die das Sprechen nach sich zieht, allein auf die Alternativen Opel oder Ford, Reihenhaus oder Mietwohnung, Fernsehen oder Ficken beschränken: Welcher Grund besteht dann, z.B. den kategorischen Imperativ in Worten wiedergeben zu können, die Kant nicht in einen Ohnmachtsanfall getrieben hätten?
So wird Sprache zum Jargon; sie dient nur noch als Zugehörigkeitsnachweis. Was dem Kevin aus Marzahn sein „Ey, Alter“, ist dem Torben aus Friedrichshain seine „heteronormative Matrix“. Die Malocher erkennen sich durch den extensiven Rückgriff auf jene tausend Worte, die auch clevere Affen angeblich in Gebärdensprache erlernen können; die Schreiber der „Phase 2“ versichern sich durch die Verwendung der einschlägigen Code- und Reizworte, dass sie gerade nicht zu den Working-Class-Heroes, sondern zur Bildungselite gehören. In ihren Selbstbeschreibungen, die am Ende jedes „Phase‑2“-Artikels stehen, verweisen sie nicht umsonst geradezu zwanghaft auf ihren zukünftigen Doktortitel, der seine Besonderheit indes längst verloren hat: Die Promotion ist das neue Abitur. Diese Doktorandeninflation verweist bereits darauf, dass die Jung-Dynamisch-Erfolglosen die – Achtung, ein Bourdieu! – habituelle Selbstvergewisserung bitter nötig haben. Denn weder kennen die Freunde der „Matrix“, der „Topoi“, der „Engführung“ und der vertrackt-falschen Nebensätze die einfachsten politischen oder historischen Zusammenhänge. Noch spiegeln sich die zwölf bis dreizehn Schuljahre, die sieben Jahre an der Uni und die dutzenden Praktika bei den Institutionen mit den großen Namen in irgendeiner Weise im Lebensstandard oder in der gesellschaftlichen Anerkennung wieder. Die gern belächelten Mitschülerinnen und Mitschüler von einst, die sich nach der zehnten Klasse für eine Lehre als Metzger, Bankangestellter oder Einzelhandelskauffrau entschieden haben, verdienen nicht nur mehr Geld: Sie müssen nicht mit Ende Zwanzig noch regelmäßig zu Mutti fahren, um sich den Rucksack mit Brot, Butter und Käse vollstopfen zu lassen. Sondern sie haben zugleich bessere Zukunftsperspektiven und sind nicht dazu gezwungen, sich bis zur Rente von einer prekären „Baustelle“ zur nächsten zu hangeln.

„Phase 2“ – mittendrin statt nur dabei
In ihren besten Momenten, von denen es allerdings nicht viele gab, reflektierte die Linke einmal auf solche Voraussetzungen des eigenen Handelns. Sie bemühte sich darum, die gesellschaftlichen Entwicklungen, Trends und Modewellen in emanzipatorischer Absicht zu denunzieren. Inzwischen ist sie – das zeigt nicht zuletzt die Bereitschaft der „Phase 2“, einen solchen Unsinn wie den ALF-Text abzudrucken – ganz vorn dabei, wenn es gilt, die Herausbildung des universellen Verblödungszusammenhanges weiter zu befördern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Vielleicht ist jedoch alles auch ganz anders. Denn möglicherweise verbirgt sich hinter der Herausgabe der „Phase 2“ auch ein großer Masterplan, von dem bisher nur niemand etwas erfahren hat. Vielleicht bekennt sich die Redaktion also demnächst dazu, dass nicht nur der ALF-Text ein subversiver Anschlag auf die Dummheit, den Konformismus und die Autoritätshörigkeit der Linken war, sondern sämtliche Artikel, die es in den letzten elf Jahren in das Blatt geschafft haben. Durch ein solches Geständnis könnte sie ihr Publikum, das den Quark der „Phase 2“ Quartal für Quartal abgenickt hat, vor sich selbst erschrecken lassen. Dieses Erschrecken könnte heilsame Folgen haben – was nicht das Schlechteste wäre. Die heutige Veranstaltung wäre der richtige Anlass für ein solches Geständnis. Immerhin besteht die Psychoanalyse, um die es heute gehen soll, in genau jener kritischen Selbstbesinnung, die der Linken gut tun würde.

Wir drücken die Daumen!

ag „no tears for krauts“,
02/2012

[Flugblatt als pdf.]