Was heißt Antifaschismus heute?

Anlässlich ihres 20. Jubiläums stellte die AG Antifa die Frage, was Antifaschismus in den gegenwärtigen Verhältnissen bedeutet. Wir dokumentieren den ersten Teil der auf einer Veranstaltung gehaltenenen Beiträge.

Der folgende ist neben Beiträgen der AG Antifa (Halle) und Jörg Folta (Beatclub Dessau) erschie­nen in: Bon­jour Tris­tesse #19 (Herbst 2015)

AG »No Tears for Krauts« (Halle)
Wenn ich mich heute zur Frage »Was heißt Antifaschismus heute?« äußern soll, muss ich sagen, dass mir das schwer fällt. Die AG »No Tears for Krauts« war nie eine Antifa-Gruppe und sie wird es auch nie sein. Zwar haben wir nichts dagegen, wenn Nazis das Leben schwer gemacht wird. Skurrilerweise kümmern sich die Nokrauts sogar intensiver um so etwas als viele traditionelle linke Gruppen oder Cliquen in Halle, die ihren Antifaschismus wie eine Billigfuselfahne vor sich hertragen. An Protesten gegen Naziaufmärsche haben wir uns – zumindest in Halle – ebenfalls immer wieder beteiligt. Das alles passierte allerdings stets eher lustlos. Einerseits ist uns klar, dass die Nazis auf die Mappe verdient haben und ihnen kein Erfolg zu gönnen ist. Andererseits war es uns immer suspekt, mit SDAJ, PDS, OB und Co. an einem antifaschistischen Image für Halle zu stricken.
Der Hauptgrund dafür, dass wir uns nicht als Antifa-Gruppe verstehen, ist jedoch der, dass mittlerweile jeder, von der Oder bis zum Rhein, von Garmisch bis nach Flensburg, ein Antifaschist ist. Der Begriff unterliegt seit 1945 einer großen, seit 2000 einer riesigen Inflation. Mit »Antifaschismus« kann heutzutage alles gerechtfertigt werden: Der nach wie vor kritikwürdige Jugoslawienkrieg der rot-grünen Regierung wurde mit der Begründung angezettelt, ein neues Auschwitz verhindern zu wollen. Die Beteiligung am nach wie vor vernünftigen Irakkrieg wurde wiederum mit antifaschistischen Argumenten abgelehnt. Man habe ja schließlich aus der eigenen Nazi-Vergangenheit gelernt. Auch im internationalen Maßstab ist »Antifaschismus« jederzeit als Allzweckwaffe einsetzbar: Russland und Ukraine beschimpfen sich im aktuellen Konflikt gegenseitig als »Faschisten«, weshalb es antifaschistische Pflicht sei, den Gegner möglichst effektiv plattzumachen.
Diese Inflationierung des Begriffs zeigte sich letztlich bereits bei dem Ereignis, das in gewisser Weise den Ausschlag für die Gründung von »No Tears for Krauts« gab. Da heute alle Geschichten von früher erzählen, tun wir das auch: Die Neue Autonome Gruppe Halle – Abkürzung NAG –, die mehr oder weniger die direkte Vorgängergruppe der AG »No Tears for Krauts« war, verstand sich um die Jahrtausendwende als Teil der Antiglobalisierungsbewegung. Sie war irrsinnigerweise darum bemüht, innerhalb der radikalen Linken zu agieren, die Antiglobalisierungsbewegung von innen heraus zu korrigieren und in die richtigen Bahnen zu lenken, um schließlich die Revolution zu machen. Noch 2001 tobte sich die NAG bei den Straßenschlachten im Rahmen der sogenannten Antiglobalisierungsproteste in Prag und Göteborg aus. Auf der Busfahrt nach Schweden knüpften wir übrigens (als kleiner Schwank am Rande) erste Kontakte zur Vorgängergruppe der heutigen ADAB, die sich damals ebenfalls als Teil der No-Globals verstand. Während die Berliner Genossen eher mit dem Umkippen von Dixie-Klos beschäftigt waren, erklärte ein nicht ganz unbekanntes NAG-Mitglied vermummt und in einem breiten hallischen Englisch einem TV-Team – das Video gibt es noch irgendwo im Netz –, dass wir selbstverständlich keine »small shops« plündern würden, sondern »only big companies«.
Als die NAG ein Jahr später bei den Protesten gegen ein EU-Treffen in Kopenhagen ein Transparent gegen Antisemitismus und Antizionismus zeigte, wurde sie mehrfach gewaltsam daran gehindert, Kritik am äußerst manifesten Antisemitismus in die globalisierungskritische Bewegung zu tragen. Die Begründung war: Israel sei ein Faschistenstaat und wir wären Nazis, da wir uns nicht gegen den jüdischen Staat stellen würden. Mit Ereignissen wie diesem sowie den Reaktionen der No-Globals auf 9/11 wurde der Glaube der NAG blamiert, die Bewegung von innen auf einen vernünftigen Weg bringen zu können. Es setzte sich immer mehr die Einsicht durch, dass von der deutschen und der internationalen Linken nichts zu erwarten ist.
Als wir kurz darauf schließlich die AG »No Tears for Krauts« gründeten, ging es von Anfang an darum, dort Unruhe reinzubringen, wo sich die Deutschen besonders gemütlich eingerichtet haben. Im Unterschied zu linken Uni-Gruppen, deren langweilige Vortragsveranstaltungen so etwas wie der zweite Bildungsweg für die zu kurz Gekommenen des akademischen Betriebs sind, war und ist sich die »No Tears for Krauts« auch nie zu fein dafür, die offene Konfrontation zu suchen. Immer dann, wenn sich die Landsleute besonders einig sind, guckt die NTFK gerne ganz genau hin und haut auf den Tisch. Neben »Kinderschändern« oder US-Kriegen gehören längst auch die Nazis zu den klassischen Feindbildern der Deutschen. Diese häufig kampagnenartigen Mobilisierungen gegen die neuen Volksfeinde – mal auf regionaler, mal auf Bundesebene – zeigen ein Bedürfnis der Deutschen nach Masse und vor allem nach Hetze gegen Feindbilder. Gegen diese Zusammenrottungen versuchten und versuchen wir mit unseren äußerst begrenzten Möglichkeiten zu intervenieren. So unterstützten wir beispielsweise die Demo im nord-sachsen-anhaltinischen Insel gegen eine Meute aus Anwohnern, die zwei zugezogene Männer lynchen wollten, die ihre Haftstrafen wegen Vergewaltigung abgesessen hatten. Und vor wenigen Monaten beteiligten wir uns an einer Demonstration gegen die Roma-Hetze in der Silberhöhe. Auch hier eine kleine Skurrilität am Rande: viele Antifaschisten und Linke aus Halle, die sonst keine Gelegenheit auslassen, ihre Gegnerschaft zu Rassismus kundzutun, blieben der Demonstration in einem der finstersten Orte Ostdeutschlands fern.
Besonderes Augenmerk richtet die AG »No Tears for Krauts« dabei auf die Linke. Vor allem für Halle gilt: Wenn sich irgendwo zehn Linke über eine Sache einig sind und sich dabei »wohlfühlen«, kann man sich sicher sein, dass wir etwas daran auszusetzen haben. Diese (nennen wir es libidinöse) Bindung an die Linke hat zwei Gründe. Einerseits kommen die meisten von uns selbst aus der Linken und haben früher, wie das Beispiel der NAG zeigt, fast jeden Mist mitgemacht. Gerade weil wir selbst klüger geworden sind und uns keineswegs für Ausgeburten von Hyperintelligenz halten, glauben wir, dass auch andere klüger werden und mit dem linken Unfug brechen können. Einsichten sind ja schließlich keine Frage des IQ oder Schulabschlusses sondern der Bereitschaft zu Reflexion und Erfahrung. Zum anderen kritisieren wir die Linke vor allem wegen ihrer Avantgardefunktion für den Mainstream. Vermeintliche kritische Solidarität mit Israel, die angebliche besondere Verantwortung der Deutschen für die Juden, der Genderquatsch und der kulturalisierende Antirassismus, die längst in den Unis angekommen sind, waren früher randständige linke Erscheinungen, die sich inzwischen allesamt gesellschaftlich durchgesetzt haben. Dass die Kritik an all diesem Quark auf den Begriff des Antifaschismus gebracht werden kann, darf allerdings bezweifelt werden.