Das ostdeutsche Gefühl. Warum es zu wenig ist, nur gegen Uwe Steimle zu demonstrieren.

Folgendes Flugblatt, das wir eigentlich als Redebeitrag halten wollten aber nicht durften, verteilten wir gestern auf der Kundgebung vom Bündnis gegen Rechts Halle, die sich gegen den Auftritt Uwe Steimles im Steintor-Varieté richtete:

Das ostdeutsche Gefühl

Warum es zu wenig ist, nur gegen Uwe Steimle zu demonstrieren

Laut Ankündigungstext protestieren wir heute hier, weil mit Uwe Steimle ein Verschwörungstheoretiker und AfD-Sympathisant im Steintor-Varieté auftritt. Das finden auch wir nicht schön; für viel skandalöser halten wir es jedoch, dass nicht schon vor zehn oder 15 Jahren eine Kundgebung gegen ihn stattgefunden hat. Das war die Zeit, in der Steimle noch der Haus- und Hofkabarettist des Mitteldeut- schen Rundfunks (MDR) war und zu den Dauer- gästen der MDR-Talkshow „Riverboat“ gehörte. Seine damaligen Aussagen unterschieden sich nämlich kaum von den heutigen.Steimle präsentierte sich als Repräsentant der „belogenen und betrogenen“ Ossis, die Opfer einer gemeinen Intrige böser Wessis, Bosse oder Kapitalisten seien, schimpfte auf „Ohmehriga“ (sächsisch für: Amerika) und gegen „die da oben“. „Wir werden für blöd verkauft“, erklärte er bereits 2015 in einem Interview, hierzulande herrsche „keine Demokratie“, die Bundesrepublik sei „nur anders, aber nicht besser“ als die DDR.

Der zentrale Unterschied zu heute bestand darin, dass Steimle damals als links galt. Der seinerzeit bekennende Anhänger der PDS und der Linkspartei war der Lieblingskabarettist ihrer Stammwählerschaft und tingelte als Honecker-Imitator, in seiner Paraderolle als Günther Zieschong oder als er selbst (eine Mischung aus beidem) von einem PDS-Fest zum nächsten. 2009 wurde er von der Linkspartei sogar zur Bundespräsidentenwahl in die Bundesversammlung entsandt. Das war kein Zufall, sondern Steimle passte hervorragend zur Partei. Seine Bühnenperformance war die kleinkünstlerische Version des ideellen PDS- und Linkspartei-Programmes. Ihm ging es ebenso wie der Partei nur selten um soziale Probleme, die dringend hätten thematisiert werden müssen, sondern vielmehr um Lug und Trug, Befindlichkeit, Ost-Nostalgie und „das Volk“. Wenn soziale Probleme trotzdem einmal thematisiert wurden, dann war das Ganze untrennbar mit der Klage über ostdeutschen Identitätsverlust, mit aggressiver Weinerlichkeit, dumpfem Gemeinschaftskult und Gesinnungskitsch verbunden: kollektive Identität statt soziale Frage. Die Linkspartei trat gerade auf dem Gebiet der früheren DDR als eine Art ostdeutscher Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten auf. Damit hatte sie deutlichen Anteil daran, dass die Verhältnisse im Osten so eklig und unerträglich waren. Gerade in den 1990er und 2000er Jahren trug die Partei trotz ihres offiziellen Antifaschismus dazu bei, dass der Boden bereitet wurde, auf dem auch Nazis gut gedeihen konnten.

Dass Uwe Steimle inzwischen nicht mehr im MDR und bei Linkspartei-Partys auftritt, mag auch einer gewissen Radikalisierung geschuldet sein. Vor allem aber ist es Ausdruck von Veränderungen im Osten. Sicherlich gibt es noch viele PDS-Rentner, die sich für Steimle begeistern und zur heutigen Veranstaltung kommen. Der Steintor-Betreiber Rudenz Schramm, der für die Linke im Stadtrat sitzt, hat sich sicherlich auch mit Blick auf dieses Publikum und als Reminiszenz an die Vergangenheit seiner Partei dazu entschlossen, den Kabarettisten einzuladen.

Trotzdem befinden sich das traditionelle ostdeutsche Gefühl und seine zentrale Repräsentantin, die Linkspartei, in einer tiefen Krise. Das zeigen auch ihre katastrophalen Wahlergebnisse. Dafür gibt es viele Gründe. Die AfD schafft es im Osten z.B. inzwischen besser als die Linkspartei, die Stimmung des Belogen- und Betrogenwerdens zu artikulieren. Sie erntet in gewisser Weise, was die PDS gesät hat, ohne ihre direkte Nachfolgerin zu sein. Denn auch wenn die AfD im Osten teilweise andere Bedürfnisse bedient als im Westen, bemüht sie das ostdeutsche Gefühl weniger stark als die Linke. Zugleich sorgt die – Achtung, Triggerwort! – Biologie dafür, dass sich die Verhältnisse im Osten verändern. Aus Gründen des altersbedingten Ablebens dezimiert sich die Stammwählerschaft der Linkspartei in jedem Jahr um etliche Prozent- punkte. Ohne ideell auf einem (selbstverständlich in sich widersprüchlchem) westlichen Niveau von Weltläufigkeit, Laissez Faire und Freundlichkeit angekommen zu sein, hat sich der Osten darüber hinaus gerade in den größeren Städten in einer Weise verwestlicht, die wir vor 15 Jahren noch nicht für möglich gehalten hätten.

Bei der Linkspartei löst diese Veränderung Panik aus. Die innerparteilichen Kämpfe zwischen „Hipstern“ und „Hartzern“, „Bionade“ und „Bockwurst“, wie es einige Beobachter genannt haben, sind auch Ausdruck davon. Das Dumme ist: Bei ihren Versuchen, die Partei zu reformieren und für die Gegenwart fit zu machen, bleiben beide Fraktionen den schlimmsten Traditionen ihrer Parteigeschichte treu. Wo völlig zu Recht die soziale Frage gestellt und der weitere Abbau des Sozialstaates kritisiert wird, kommt man in der Partei nicht ohne Steimle-artige Klagen gegen „Ohmehriga“, „die da oben“, Israel und den Westen aus – so, als könnte sozialer Protest in Deutschland tatsächlich nur in Gestalt eines Pogroms auftreten.

Auf der anderen Seite schmeißt man sich in opportunistischer Manier an die antiaufklärerisch- sten Entwicklungen der gegenwärtigen – postmodernen – Linken ran. Man macht mit in all dem, was die Grünen als Repräsentanten des gehobenen urbanen Mittelstandes besser können: ideologischer Antirassismus, Klima- und Identitätspolitik. Diese Fraktion merkt noch nicht einmal, wie viel sie mit den traditionellen autoritären Bedürfnissen ihrer innerparteilichen Gegner und der Vergangenheit der Linkspartei teilt – etwa, wenn die Linksjugend ihren Regionalgruppen per Bundeskongressbeschluss verbietet, sich in Veranstaltungen kritisch mit der Queertheorie à la Judith Butler zu beschäftigen und Gegner dieser Gleichschaltung des Denkens unisono als als transfeindlich denunziert. Im woken Gestus, mit dem die linken Identitären auftreten, hat sich das ostdeutsche Gefühl verallgemeinert. Hier findet sich in formveränderter Weise all das, was die alte Linkspartei ausgemacht hat: aggressive Weinerlichkeit, dumpfer Gemeinschaftskult, Befindlichkeitsterror und die Selbstdarstellung als Opfer mieser Intrigen. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, lautet das heimliche Motto der Erneuerer.

Das alles heißt selbstverständlich nicht, dass es falsch ist, heute und hier gegen Uwe Steimle zu demonstrieren. Das gebietet allein schon der gute Geschmack: Deutsches Kabarett kommt aus dem Vorhof zur Hölle, ostdeutsches aus ihrem Zentrum. Es heißt aber, dass man nicht immer und immer wieder den Steimle-Fehler begehen darf. Soll heißen: Anstatt erst in zehn oder 15 Jahren gegen die Uwe Steimles von Morgen zu protestieren, ist es schon heute nötig. Das gilt auch und gerade, wenn sie ein Parteibuch der Linken oder der Grünen besitzen, Mitglied einer Linken Liste im Stura sind oder sich in einem Bündnis gegen Rechts engagieren. Die Steimles von Morgen werden allerdings nicht mehr auf Cordhütchen, Pullunder und sächsischem Dialekt zurückgreifen. Die neuen identitären Grenzgänger zwischen links und rechts kommen stattdessen mit hochgeschnittenem Pony, Abkürzungen wie TERF und SWERF oder Begriffen wie „cultural appropriation“ daher. Auch für sie muss gelten, was schon vor Jahren für Uwe Steimle hätte gelten müssen: Wehret den Anfängen! Oder frei nach einem großen Denker: Wer von der Linken nicht reden will, sollte auch von den Steimles schweigen!

Ihre
AG No Tears for Krauts Halle 06/2022