Antifa: Zivilgesellschaft with Attitude
Anstatt die deutschen Verhältnisse zu kritisieren, versucht sich die regionale Antifa als Aushilfspädagoge. Flugblatt zur Antifademo "Schaut nicht weg - greift ein! Darf keine leere Phrase sein!" am 25. Februar 2006 in Schönebeck.*
Anfang Januar geriet Pömmelte, ein Kaff in der Nähe von Schönebeck, in die Schlagzeilen: Fünf autochthone Jugendliche hatten einen 12jährigen Jungen, der im örtlichen Kinderheim wohnt, so gedemütigt und gefoltert, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Quälereien hatten bereits in einem Nahverkehrsbus begonnen. Weder in diesem Bus noch auf den Straßen des Ortes, durch die der Junge danach geschleift wurde, fühlte sich jemand genötigt, dem Kind zu helfen.
Alle sind sauer
Nach Bekanntwerden der Tat zeigte sich Deutschland wieder einmal von seiner antifaschistischen Schokoladenseite: Fast alle größeren Nachrichtensendungen berichteten über Pömmelte, in den überregionalen Tageszeitungen war man empört-schockiert-fassungslos, und die Fraktionen des sachsen-anhaltischen Landtages verurteilten die Tat und riefen zu Maßnahmen gegen "rechtes Gedankengut" auf. Der Höhepunkt: Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) schickte dem Jungen ein Paket mit Leckereien ins Krankenhaus.
In dieser antifaschistischen Einheitsfront wollten und durften die Bewohner der Gemeinde Pömmelte nicht fehlen. Die Häuptlinge der örtlichen Stammesvereinigungen (Feuerwehrverein, Sportclubs etc.) trafen sich, gründeten den obligatorischen Runden Tisch und redeten zunächst einmal über einen Jugendclub. Anders als in der Zeit vor dem Antifasommer 2000, als rechte Gewalt noch als stummer Schrei nach einer Jugendbegegnungsstätte begriffen wurde, ging es diesmal allerdings nicht um eine Spielwiese für die fehlgeleiteten Schäfchen. Mit Hilfe eines richtigen Sozialarbeiters und den Bildungsangeboten des Miteinander e.V. sollen die Dorfjugendlichen vielmehr vor den Zugriffen "rechter Ideologen" geschützt werden. Der Sozialarbeiter, so war in einer überregionalen Wochenzeitung zu lesen, solle "verhindern, dass der Club von der rechten Szene in Beschlag genommen wird". Ganz im Stile des neuen, antifaschistischen Deutschlands, das "aus der Geschichte gelernt hat", wurde am runden Tisch zudem kritisch über die "Unkultur des Wegsehens" diskutiert. Eher untypisch für dieses neue Deutschland musste die Empörung über die Tat allerdings oftmals hinter der Sorge um den Ruf des Ortes - der bis dahin überhaupt nicht existiert hatte (Wer kennt schon Pömmelte?) - zurückstehen: Ein Teilnehmer des Runden Tisches beklagte sich darüber, dass über dem Dorf "kübeleimerweise brauner Dreck" ausgegossen werde, ein Bürger behauptete gegenüber Journalisten, dass es "mit den Schwarzen doch immer Ärger" gebe, und andere Ureinwohner drohten angereisten Reportern schon mal mit der Reitpeitsche.
Bewährungshelfer Antifa
Die Bewohner Pömmeltes haben insofern zwar noch einige Probleme mit dem Ethos und den Sprachregelungen der geläuterten Republik. Bei ihrer Reise ins neue Deutschland, die sie vermutlich nie beenden werden, können sie jedoch auf kompetente Unterstützung vertrauen - und zwar von Seiten der Antifa.
Während es für die Bewohner diverser Zonensiedlungen noch einiges zu lernen gibt, hat die regionale Antifa - u.a. unterstützt von der Antifa Dresden oder der Leipziger Antifagruppe (LeA) – ihre Hausaufgaben nämlich schon gemacht. Demonstrierte man vor einigen Jahren in Orten wie Bernsdorf noch gegen die deutschen Zustände und Dorfgemeinschaften, die Brutalitäten wie die in Pömmelte notwendigerweise hervorbringen, ist die heutige Feindbestimmung eine andere. Anstatt als marodierender Haufen durch das Kaff zu ziehen, die Anwohner, die die Täter immerhin erzogen und geprägt haben, in der angemessenen Weise zu beschimpfen und den gleichermaßen befürchteten wie verdienten "kübeleimerweise braunen Dreck" über dem Ort auszugießen, thematisiert man den Zusammenhang von Dorfmob und seiner heimlichen
Avantgarde maximal am Rande. Ebenso wie die Vertreter der kompetenten Zivilgesellschaft - von Wolfgang Thierse über Claudia Roth bis hin zu den Mitarbeitern der diversen Civitas-Projekte - sieht man das Zentrum allen Übels weniger in "der Idiotie des Landlebens" (Marx), der Barbarei der postindustriellen wastelands bzw. den einschlägigen deutschen Dorfgemeinschaften, die in größeren Städten auch mal den Namen "Kiez" für sich beanspruchen dürfen, sondern in organisierten "Nazistrukturen", "Netzwerken" und "Kameradschaften". Professionelle und ehrenamtliche Antifa-Recherche-Teams wandten nach den Ereignissen von Pömmelte dementsprechend viel Energie auf, eine Verbindung zwischen den Tätern und der organisierten Neonaziszene der zehn Kilometer entfernten Kreisstadt Schönebeck aufzudecken. Die Ergebnisse dieser Nachforschungen waren so dürftig wie irrelevant - was die regionalen Antifagruppen allerdings nicht daran hinderte, die Demonstration komplett auf eben jene organisierten Nazistrukturen auszurichten und nicht durch Pömmelte, sondern durch Schönebeck, den Sitz der gleichnamigen Neonazi-Kameradschaft zu demonstrieren. Die Bewohner des braunen Kaffs können also beruhigt sein: Die Antifa hat ihnen die Hand gereicht und ihnen erklärt, dass nicht sie selbst, sondern finstere "Strukturen" verantwortlich für die barbarische Freizeitbeschäftigung ihrer Stammhalter seien.
Zivilgesellschaft with Attitude
Die Antifa scheint damit alles vergessen zu haben, was sie im Nachgang des "Aufstands der Anständigen" schon einmal über staatlich-zivilgesellschaftliche Anti-Nazi-Kampagnen geahnt hat. Sie hat nichts Besseres zu tun, als ihren Beitrag zur Kampagne "Schöner unser Städte und Gemeinden" zu übernehmen und sich - natürlich kritisch - in die große
zivilgesellschaftliche Volksfront einzureihen. Während Lokalpolitiker die berühmt-berüchtigte Zivilcourage einfordern, sich die Bürger zu Runden Tischen zusammenfinden und ihre Scholle in symbolischen Straßenkehraktionen vom "braunen Dreck" befreien wollen, gibt die Antifa den bewaffneten Arm dieser Zivilgesellschaft, der in jugendlichem Überschwang manchmal ein wenig über das Ziel hinausschießt, der Sache im Großen und Ganzen allerdings dienlich ist.
So wenig die Antifa die dorfgemeinschaftliche Barbarei in Pömmelte thematisieren will, so wenig ist sie fähig, die Zivilgesellschaft als Fortführung dieser Barbarei mit anderen Mitteln zu begreifen. Dies wird insbesondere im Motto ihrer Demonstration ("Schaut nicht weg - greift ein! Darf keine hohle Phrase sein!") deutlich. Dieser zivilgesellschaftskompatible Slogan, der seit dem "Aufstand der Anständigen" sinngemäß in nahezu allen öffentlichen Verlautbarungen zur politischen Kultur zu hören ist, richtet sich zwar zunächst gegen Neonazis. Er ist jedoch zugleich das Plädoyer für die Übernahme sozialer Verantwortung, Bürgerengagement gegen gemeinschaftsschädigendes Verhalten, kurz: für eine mobilisierte Gesellschaft, das Utopia der Aktivbürger, Blockwarte, Hausbuchführer und Denunzianten. Deren Ressentiment kann sich im neuen Deutschland zwar auch am scheinbar paradoxen Objekt: dem Neonazi, abarbeiten; instinktsicher werden diesem Gemeinschaftsschädling" jedoch stets auch die klassischen Objekte volksgemeinschaftlichen Verfolgungseifers
beiseite gestellt. Wenn Antifa und Zivilgesellschaft ihren antifaschistischen Kampf - wie in Schönebeck - mit einer Rhetorik unterfüttern, die an Bunkerromantik, Gemeinschaft und Waschzwang erinnert, versuchen sie insofern, die Nazis auf ihrem ureigensten Gebiet zu schlagen.
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt…
Die Antifa ist dabei jedoch weitaus mehr als ein einfacher Bestandteil dieser Zivilgesellschaft. Von ihrer lieb gewonnenen Radikalität ist nach dem Verzicht auf den letzten Rest von Gesellschaftskritik lediglich die Forderung nach der Radikalität der Tat, dem Ärmel-Hochkrempeln und Zupacken, geblieben. Den ungeliebten aber umschwärmten staatlich-zivilgesellschaftlichen Bündnispartnern, die die institutionellen
Fortführungen des "Aufstands der Anständigen" (Miteinander, Civitas usw.) immerhin finanzieren, werden dementsprechend Inkonsequenz, Heuchelei und "Lippenbekenntnisse" vorgeworfen. Die Antifa präsentiert sich damit als die eigentliche Speerspitze der Zivilgesellschaft, deren Parolen nach dem Motto schneller-lauter-härter zugespitzt und damit zu sich selbst gebracht werden.
No way home
Dieser antifaschistische Kampf, der in realitas ein Antrag um die Aufnahme der Zone ins "bessere Deutschland" ist, ist allerdings zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. So mag es der Fahndungsantifa und der hiesigen Parodie auf eine Zivilgesellschaft (zwei Pfarrer, drei Gewerkschaftler und sieben engagierte Lehrer) in Kooperation mit dem Staat zwar von Zeit zu Zeit gelingen, die eine oder andere Kameradschaft auszuheben. Möglicherweise können auch die Bewohner der tausenden Pömmeltes, die es durchaus auch in den Industrie- und Landschaftsbrachen des Westens gibt, kurzzeitig davon
überzeugt werden, ihre eigene Brut, die Neonazis, als Gemeinschaftsschädlinge zu betrachten. Dennoch werden die natives der Magdeburger Börde, der Sächsischen Schweiz, der Mecklenburger Seenplatte oder des Usedomer Boddens nie über das zaghafte Erlernen einzelner Sprachregelungen des neuen Deutschlands hinauskommen. In den wastelands, in denen ohnehin kein vernunftbegabter Mensch investieren will, wird weder das gebetsmühlenartig vorgetragene Gebot, dass man Investoren auch dann nicht
totschlagen darf, wenn sie schwarz sind, auf Beachtung stoßen. Geschweige denn wird sich dort die für das neue Deutschland typische Begeisterung für fremde Kulturen, Stämme und Riten, exotische Religionen, flippige Ethnobekleidung, Töpferkurse, Yoga und vegetarische Restaurants einstellen.
Im Bewusstsein der eigenen Überflüssigkeit, das ohnehin zur Grundausstattung jedes Arbeitskraftbehälters gehört, in den Abbruchgebieten der Zone allerdings besonders stark ausgeprägt ist, werden sich die Dorfgemeinschaften auch weiterhin regelmäßig in eine Horde wild um sich schlagender Asozialer verwandeln, die allen - und letztlich auch sich selbst - nach Besitz, Leib und Leben trachten. Das Verfolgungs- und Vernichtungsbedürfnis der enthemmten Eingeborenen richtet sich dabei nicht nur gegen "Zugereiste", "Ortsfremde" und "Auswärtige". Die Existenz dieser auswärtigen Feinde hält sie lediglich zeitweilig davon ab, sich gegenseitig zu zerfleischen. Die Begeisterung für Verfolgung, Folter, Demütigung, Quälen und Töten, die jedem landes- und heimatkundlichen Bericht des Stammesfunks von MDR und ORB zu entnehmen ist, wird also so schnell nicht enden. Mit oder ohne "organisierte Neonazistrukturen".
bonjours tristesse,
Halle, Februar 2006 |