3.12.: „Antisemitismus in Dessau – Schlaglichter zum lokalen Diskurs
1967-1982“
Bereits vor der Gründung der DDR stand das jüdische Verlangen nach einem
eigenen Staatswesen in Palästina in einem eindeutig konträren Verhältnis
zur bisherigen antizionistischen Einstellung und Praxis der kommunistischen
Bewegung. Antikapitalistische Argumentationen der frühen SED verbanden
meist unwidersprochen eine Gleichsetzung von Juden und Kapitalisten und der
Entgegensetzung von jüdischen Kapitalisten und Arbeiterklasse. Obwohl die
Gründung des Staates Israels von der SED anfänglich, analog den Vorgaben
aus Moskau, begrüßt wurde, schlug diese Zustimmung schnell in einen
aggressiv vorgetragenen Antizionismus um, der immer offener antisemitisch
argumentierte.
Besonders kam die antisemitische DDR-Propaganda bei der Bewertung
israelischer Militäraktionen in den Nahostkriegen zum Vorschein. Das war
beim Sechstagekrieg 1967 in Ansätzen so, steigerte sich beim
Jom-Kippur-Krieg (1973), um schließlich in einer offen antisemitischen
Kampagne rund um den Libanon-Krieg (1982) zu münden. Diese Entwicklung ist
auch für Dessau nachweisbar.
Während und nach dem Jom-Kippur-Krieg dominierte der antisemitische
Antizionismus Erklärungen und Interpretationen der staatsoffiziellen
Debatte und mehr noch, reihenweise wurde die Politik und Militärstrategie
Israel mit den Nationalsozialisten verglichen oder gleichgesetzt. So
veröffentlichte die „Freiheit“ am 11. Oktober 1973 einen Artikel unter der Überschrift „Die Verbrechen Israels erinnern an die Nazis“.
Im Zusammenhang mit dem Libanonkrieg 1982 und den folgenden Konflikten im
selben Jahr diente der Ausdruck „Zionismus“ nur noch als Staffage, um
offenen Antisemitismus semantisch zu kaschieren. In fast jedem Artikel
wurden Begriffe aus dem historischen Nationalsozialismus für die
Beschreibung Israels benutzt. Dabei wurde fast die komplette Klaviatur der
NS-Sprache verwendet. Die Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten titelten am
11. Juni 1982: „Israel führt totalen Krieg“ , um am 30. Juni 1982 mit der
Schlagzeile „Massakern des Faschismus ähnlich“ nachzulegen.
Selbst Vergleiche zum nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz
wurden nicht ausgespart. In dem „Freiheit“- Kommentar vom 19. Juni 1982 „Damit aus Beirut kein Auschwitz wird“ , spricht der Redakteur von „zionistischen Terrorbanden nach dem Muster von Lidice“.
Die „Freiheit“ vom 23. September 1982 stellte unter der Überschrift „Blutbad gleicht den Verbrechen der Faschisten im Warschauer Ghetto“ einen
unmittelbaren Bezugs- und Vergleichsrahmen zu Verbrechen des
Nationalsozialismus her und sprach von einem „kaltblütig organisierten
Massenmord“.
siehe:
http://www.projektgegenpart.org/gp-chronik/front_contentf635.html?idcat=96
8.12.: 1968, die RAF und die Neue Linke
Anlässlich des 40. Jubiläums von „1968“ kann jeder Unsinn über die
Protestbewegung verbreitet werden: Die Achtundsechziger seien naive
Romantiker mit einer „gefährlichen Blindheit“ gegenüber dem Totalitarismus,
auf der Suche nach Spiritualität oder einfach nur anmaßend gewesen. Nur
eins darf man im Jubiläumsjahr, in dem selbst die Bundeszentrale für
politische Bildung erklärt, dass die Republik in Folge von „1968“
demokratisiert wurde, nicht sagen: „1968“ war ein nationalrevolutionärer
Aufbruch in der Tradition von „1933“. Wer es, wie Götz Aly in seinem Buch „Unser Kampf“, dennoch tut, zieht nicht nur den Zorn derjenigen auf sich,
die „dabei“ waren: der Veteranen und Apo-Opas, die inzwischen in den
Redaktionen der großen Tageszeitungen, in Ministerien oder auf Biohöfen in
der Toskana untergekommen sind. Er stellt zugleich seine berufliche
Reputation aufs Spiel.
Für Vergleiche zwischen den Dreiunddreißigern und Vertretern der Neuen
Linken ist ein anderes Jubiläum zuständig: das des „Deutschen Herbstes“
1977. Auch wenn im Wissenschaftsbetrieb gelegentlich lieblos darauf
hingewiesen wird, dass die Geschichte des „bewaffneten Kampfes“ zur
Geschichte der Neuen Linken gehört, wird sie im öffentlichen Verständnis
inzwischen regelmäßig davon abgekoppelt. Tatsächlich schlug es allerdings
nirgends so sehr „68“ wie bei der RAF – im guten wie im schlechten Sinn.
Warum sich die Geschichte des „bewaffneten Kampfes“ nicht von der
Geschichte der Neuen Linken abspalten läst, warum die RAF der bessere SDS
war, am Ende aber doch nur ein militantes Heimatschutzkommando herauskam,
das Deutschland von Amerikanern, Juden und Bonzen „befreien“ wollte, und
warum Götz Alys Abhandlung über die Wiederkehr der Dreiunddreißiger in den
Achtundsechzigern trotz aller richtigen Erkenntnisse kein gutes Buch ist– das alles erläutert Jan Gerber.
Jan Gerber hat gemeinsam mit Joachim Bruhn das Buch „Rote Armee Fiktion“
(Freiburg: ça ira Verlag) herausgegeben und schreibt u.a. für „Bahamas“,
„Phase 2“ und „Jungle World“.
15.12., „Das Netz der Blutsauger: Über ‚Momo‘ und die Reproduktion des
Antisemitismus“
„Michael Ende, du hast mein Leben zerstört“, sang die Band „Tocotronic“ vor
mehr als zehn Jahren. Der Song richtete sich vor allem gegen
friedensbewegte und ökologisch gesinnte Lehrer, die in den 1980er Jahren
ihren Schülern pausenlos mit dem Preisen der Romane des Kinderbuchautors in
den Ohren lagen. Heute jedoch muss deren Lektüre Schülern nicht mehr durch
Empfehlungen wollpullitragender Pädagogen nahe gebracht werden. Es sind
tatsächlich die „Eltern aller Schichten“, die ihren Kindern die Bücher des
Schriftstellers nicht nur ans Herz, sondern auch auf den weihnachtlichen
Gabentisch legen.
Endes größter Erfolg wurde der Roman „Momo“, der bei Deutschlehrern
besonders hoch im Kurs steht und seit 35 Jahren eines der beliebtesten
deutschen Jugendbücher ist. Wie kein anderes Buch wird „Momo“ seit seinem
Erscheinen mit der Sehnsucht nach einem besseren Leben, der Utopie von
einer freien Welt und vor allem mit der lebensnahen Darstellung von
Phantasie, Kreativität und Sinnlichkeit in Verbindung gebracht.
Dass solche Qualifizierungen einer Textkritik des Romans keineswegs
standhalten, soll der Vortrag erläutern. In Hinblick auf „Momo“ wird vor
allem vom Antisemitismus zu sprechen sein, der im Buch ganz ohne Juden
auskommt und doch alle ideologischen Bestandteile des modernen Judenhasses
reproduziert. Wahrscheinlich ist hierin der Grund zu suchen, warum „Momo“
als hochideologisches Traktat den Deutschen generationenübergreifend so
unentbehrlich geworden ist.
Peter Siemionek lebt in Halle. Er ist dem Diskussionskreis „Materialien zur
Aufklärung und Kritik“ assoziiert und hat zuletzt einen Artikel über „Momo“
in der Zeitschrift „Bahamas“ veröffentlicht.